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Der Schrei – harter Zwischenstopp auf der Insel Lesbos

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Zwischen dem Bollwerk der UNHCR-Registrierungsstelle und der Betonmauer ist die Stimmung extrem aufgeheizt - als wir ankommen tönt ein schriller Schrei durch die Menge.

Das Bollwerk der UNHCR-Registrierungsstelle auf der Insel Lesvos in Griechenland - Foto: Ulrich Kleiner

Ein schriller Schrei, wie ich ihn noch nie gehört habe, durchdringt die Menschenmassen vor dem UNHCR-Registrierungscamp (UN High Commissioner for Refugees) auf der griechischen Insel Lesvos (Lesbos). Es ist der panische Schrei eines kleinen Mädchens mit braunen Locken. Eine Freiwillige versucht sie zurückzuhalten, während das verängstigte Kind versucht, durch die Reihen der Riot-Police auf die andere Seite zu seinem Vater zu gelangen. Kurz zuvor hatten die Polizisten einen Schwung der Flüchtlinge zur Registrierungsstelle durchgelassen, dabei wurde die Familie voneinander getrennt. Der Vater verschwand irgendwo in der tobenden Menschenmenge hinter den Polizisten.

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Die Stimmung ist aufgeheizt an der UNHCR Registrierungsstelle. Der Stress ist groß.

Dicht gedrängt stehen die Menschen an der UNHCR-Registrierungsstelle auf Lesvos. Hier müssen sich alle Flüchtlinge registrieren - Foto Ulrich Kleiner

Mir schießen die Tränen in die Augen, als ich die Verzweiflung des Kindes hilflos mitansehen muss. Sie glaubt offensichtlich nicht, ihren Vater wiederzusehen.

Hier zwischen dem Bollwerk der UNHCR-Registrierungsstelle und der Betonmauer ist die Stimmung extrem aufgeheizt. Alle Flüchtlinge müssen sich hier registrieren, um weiterzukommen. Es ist eng. Die Menschen sind aufgebracht. Niemand sagt ihnen, was als nächstes zu tun ist. Die meisten haben die Nacht auf dem Boden vor der Registrierung verbracht. Die Sonne brennt ihnen jetzt gnadenlos auf die Köpfe und ständig werden Ohnmächtige hektisch durch die Menge getragen.

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Die Menschen an der Registrierungsstelle der UNHCR auf Lesvos sind aufgebracht. Niemand sagt ihnen, was als nächstes zu tun ist.

Stundenlang warten die Menschen vor der Registrierungsstelle in der Hitze der griechischen Inseln - Foto: Ulrich Kleiner

Ich habe schon nach 30 Minuten extremen Durst und suche nach Schatten. Aber Wasser und einen Schutz vor der Sonne gibt es hier nicht. Plötzlich höre ich laute Rufe. Die Menge drängt nach vorn. Ich werde nach hinten gedrückt, an die Wand, trete fast auf Frauen und Kinder, die hier auf dem Fußboden sitzen. Ich werde unruhig, versuche aus der Menge rauszukommen. Kommt es hier zu einer Massenpanik, wird es Opfer geben – besonders unter den Kindern, schießt es mir durch den Kopf.

Ich erlebe auf Lesvos das erste Mal, welchem Stress die Flüchtlinge auf ihrem Weg ausgesetzt sind. Gefährliche Szenen, wie vor der Registrierungsstelle, begleiten sie die ganze Route über.

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5 Uhr morgens: Flüchtlinge laufen müde und verloren durch die Straßen von Lesvos.

5 Uhr morgens: Flüchtlinge laufen müde und verloren durch die Straßen von Lesvos - Foto_ Ulrich Kleiner

Zuvor um 5 Uhr in der Früh: es ist noch dunkel. In kleinen Gruppen, mit schlafenden Kindern auf dem Arm, und Rucksäcken auf dem Rücken, ziehen die Flüchtlinge durch die noch stillen Straßen der griechischen Insel Lesvos. Sie sind erschöpft, wissen nicht wohin, folgen einfach den Menschen vor ihnen. Ihre Schwimmwesten von der 2-stündigen Überfahrt in einem Schlauchboot, haben sie bei der Ankunft an Land abgelegt.

„Wir mussten das Boot selber steuern“, erzählen sie mir. Uns wurde gesagt, es würden 23 Leute auf dem Boot sein. Letztlich waren wir 64 und ständig lief das Schlauchboot mit Wasser voll. Wir hatten solche Angst.“

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Die Menschen schlafen am Hafen direkt unter freiem Himmel auf dem Beton.

Die 26-jährige Syrerin Narin und ihren Mann treffe ich am Hafen. Sie sind mit ihrem 4-Monate alten Sohn mit dem Boot aus der Türkei gekommen - Foto: Ulrich Kleiner

Der Schlepper sei nach einer kurzen Erklärung einfach über Bord gesprungen und zurück an Land geschwommen. Ich frage sie, wie sie denn um alles in der Welt navigieren konnten. „Wir konnten das Land von der Türkei aus sehen. Es ist nah. Wir sind auf die Lichter zugefahren. Doch obwohl es so nah ist - noch einmal würden wir es nicht machen“, sagt mir die 26-jährige Syrerin Narin, während sie ihren 4-Monate alten Sohn Jan an sich drückt. „Ich hatte solche Angst, wir könnten sinken.“

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Mütter wickeln ihre Babys, geben ihnen Milch. Selber sehe ich sie selten etwas essen.

Viele Flüchtlingsfamilien warten am Hafen von Lesvos auf die Weiterfahrt nach Athen - Foto: Ulrich Kleiner

Ich treffe Narin und ihren Mann im Hafen von Lesvos. Sie haben ein kleines Feuer gemacht, gegen die nächtliche Kälte. Um sie herum schlafen Menschen ungeschützt unter freiem Himmel auf dem nackten Asphalt auf dem Hafengelände. Unter ihnen erstaunlich viele Familien mit kleinen Kindern. Mütter wickeln ihre Babys, geben ihnen Milch. Selber sehe ich sie selten etwas essen. Sie alle warten auf die Weiterfahrt nach Athen. Sie alle sind hier nur auf der Durchreise. Ich beobachte sie und bin erstaunt, wie ruhig und gelassen sie trotz der stressigen Situation mit ihren Kindern umgehen.

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Die Eltern tun alles, um ihre Kinder auf der Flucht zu schützen.

Jeder zweite Flüchtling ist Minderjährig - Foto: Ulrich Kleiner

Dann heißt es wieder warten, warten, warten. Auf Boote, auf die Registrierung, auf Fährtickets und manchmal auch einfach nur darauf, dass die Sonne sie wärmt.
Jetzt naht der Winter, es wird mehr regnen, die See wird rauer werden. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, wie es dann hier aussehen wird.

 

Der Beitrag Der Schrei – harter Zwischenstopp auf der Insel Lesbos erschien zuerst auf SOS aus aller Welt.


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